Mittwoch, 4. Januar 2012

ohne Kassenzettel


Claudia ist vielleicht fünfzehn Jahre alt, von schlanker Figur und mit einer Hose bekleidet, die nicht, wie oft gesehen, hauteng anliegt, sondern ein wenig Luft lässt, schattige Falten wirft. Ein wahrer Blickfang auch ihre halbhohen, roten Stiefel, aber leider nicht in einem Alter, um für mich interessant zu sein. Als Geliebte zu jung, als Tochter zu entwachsen, vielleicht eine Schülerin, aber solche benötigen andere Werte, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Claudia, dieses Mädchen vor mir in der Schlange, dessen Namen mir naturgemäß nicht bekannt, sondern nur schlecht vermutet ist, bezahlt ihre Ware an der praktischen Kasse ohne Kassiererin und verlässt schnellen Schrittes den Markt. Werde ich sie wieder sehen? Ich glaube kaum, selbst wenn wir uns heute nicht schon zum zweiten Mal getroffen hätten. Eine andere Kasse wird ebenso frei, doch mich zieht es zu dem letzten Flecken, der mich noch mit ihr verbindet.
Claudia, was hat sie wohl gedacht in ihren letzten Minuten? Gedankenverloren ziehe ich meine Wunschwaren über das Band und zahle, da sehe ich den Kassenbon noch unberührt an der Maschine hängen. Frohlockend erkenne ich das Vermächtnis Claudias, schnappe es gierig und verstecke es in meiner Brieftasche. Noch ehe mich jemand aufhalten kann, verlasse ich eilig, mich immer wieder nach Verfolgern umblickend das Gebäude und atme durch.


Claudia hinterließ mir ein Mysterium, welches mich beinahe das Atmen vergessen macht. Meine zitternden Fingern umklammern dieses bedruckte Stück Papier, welches meinen ungläubigen Augen offenbart, dass sie lediglich eine Packung wohlbekannten Kaugummi für neunundneunzig Cent gekauft, jedoch mit ganzen einhundertachtzig Cent bezahlte hat. Offensichtlich wäre dies doch nicht nötig gewesen, gibt es doch keine 1,8-Euro-Münzen!
Claudia, entleertest du ohne Hintergedanken deine gesamte Börse, oder folgtest du einem nur dir bekannten Plan? Ein Tausch von Eincentstücken gegen Fünfziger? Ein kleiner Test der Zählmaschinerie? Eine wohl gehütete Besessenheit für Münzen, die durchs Innere eines metallenen Wesens geschlüpft sind und so herrlich duften? Wahrscheinlich etwas, das mir nicht einmal annähernd in den Sinn kommen mag.
Claudia, so hüpfst du mir durch meine Gedanken mit deiner nicht ganz so engen Hose, auf meinem Heimweg, für einige Zeit. Vielleicht sehen wir uns ja doch wieder, noch einige Male, an der Kasse. Ich werde warten.

~~~

Liebe Claudia,

ich kenne dein Gesicht nicht, doch besitze ich deinen Kassenzettel.
Erkennst du dich wieder in jenem hübschen Mädchen vom 13. Dezember, gegen halb vier? Nur ein Päckchen Maoam in deinem Beutel?
Wenn ja, dann melde dich bitte, ich bin hochauf interessiert.

Mit freundlichem Gruß,
Maximilian Isaac Rex

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